Abgefahren in Gleis11 - Manfred Bohn & Sascha Schwarzbart: Bahnhofsliteratur mit Musik
Wie eröffnet man einen neuen Veranstaltungsort? Man kann es im Stil von Hollywood-Blockbustern versuchen: „Beginne stets mit einem Erdbeben und steigere dann ganz langsam!“
Oder man wählt die leise Art, wie es die BM.Cultura und Anika Kresken, verantwortlich für Kunst&Kultur in Quadrath-Ichendorf, gezeigt haben: Sie engagierten einen Lyriker und einen Pianisten, Manfred Bohn und Sascha Schwarzbart.
Sascha Schwarzbart spielte eigene Stücke am Keyboard, z.B. „Irritation“ oder „Tickst du richtig?“, die ihn als gefühlvollen Komponisten und Interpreten zeigten. Ebenso eindringlich und sensibel seine musikalischen Kommentare zu Bohns Gedichten: sanfte Arpeggios, Single Notes, perkussive Figuren, gelegentlich auch Melodiezitate - zum Liebesgedicht „Schwebende Gedanken“ streut er beispielsweise ein paar Takte aus „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ ein, dem Marlene-Dietrich-Song aus dem Film „Der Blaue Engel“. Sich nicht in den Vordergrund drängen, aber den Gedichten einen musikalischen Boden zu verleihen – das schafft Schwarzbart perfekt!
Imposant allein schon die Gestalt von Manfred Bohn: Groß, kräftig, lange weiße Haare, mächtiger Bart. Auf den ersten Blick nicht unbedingt als Lyriker zu erkennen. Auch seine Lebensgeschichte erzählt etwas Anderes: Von 1962 bis 1968 war er bei der Luftwaffe. Während des Sechstagekrieges 1967 rettete er mit seiner Militärtransportmaschine Kriegsflüchtlinge von der Insel Kreta. Wie man die schier übermenschliche Belastung einer solchen Aktion verkraftet, beschreibt er mit den Worten: „Die dröhnenden Motoren decken die Gefühle zu.“
Später heuerte er in der Pharmaindustrie an. Auch das nicht unbedingt ein Einstieg in die Lyrik, vor allem wenn man, wie er erzählt, bei der Firma Grünenthal in Stolberg beginnt, die sich zu der Zeit Vorwürfen im Zusammenhang mit dem Schlafmittel Contergan ausgesetzt sah. Er arbeitet sich zu führenden Positionen hoch, erkennt auch hier schon, dass er kein Schreibtischarbeiter ist, sondern den Kontakt zu Menschen braucht.
Sascha Schwarzbart
Seit vielen Jahren hat er diesen Kontakt nun über seine schriftstellerische Arbeit. In dem kleinen feinen Gleis11 kann er den Zuschauer*innen in die Augen schauen, wenn er seine Gedichte und Geschichten vorträgt. Er phantasiert über „Archäologische Zonen“ zum Thema große Egos, über „Ballerinen“, die sich extrem stylen, räsoniert über die Frage, ob es neben „Machos“ auch „Machas“ gibt. In der Abteilung „Humor“ kommt er schnurstracks zum Thema Quadrath-Ichendorf und Bergheim und berichtet über die missglückte Restaurierung der „Bergheimer Mauer“, die 700.000 € gekostet habe – nein, nicht die Restaurierung, sondern die Miete für den Absperrzaun...
Auch das Gestüt Schlenderhan kommt vor: Bohn dichtet sich in die Probleme der Pferde in der Zivilisation hinein, dass sie alleine, zum Beispiel in Quadrath-Ichendorf, gar nicht mehr überlebensfähig seien: „Für das Pferd ist Gefangenschaft das kleinere Übel.“
Manfred Bohn
Im Gedicht „Charakterpferde“ schildert er die humoristische Begegnung zwischen Pegasus, dem geflügelten Pferd, und einem Ackergaul: „Pegasus und Ackergaul trafen sich bei Simonskaul.“
Sehr rührend sein Gedicht über „Zwei Eintagsfliegen“: Ist ihnen eigentlich klar, dass sie nur einen Tag haben, um sich zu lieben? In einem traurigen Gedicht entscheidet sich ein Herz, nicht mehr weiter zu gehen – es bleibt einfach stehen.
Neben Liebesgedichten und Arbeiten zum Thema Humor widmet sich Bohn auch der Umweltproblematik. Wie er in „Der Hagel“ die Auswirkungen verschiedenster Formen und Größen von Hagelkörnern beschreibt, ist höchst originell. Auch Fake News und Verschwörungstheorien werden satirisch bedient: Jedes Land endet immer am Wasser; wenn die Erde eine Kugel wäre, müsste das Wasser abfließen – also ist die Erde eine Scheibe! Entwaffnende Logik.
Ein intelligenter Abend für Leute, die zuhören können, die ein Herz für gute Lyrik und ein Ohr für kongeniale Musik haben – solche Leute hatten das Glück, in Gleis11 die erste Veranstaltung einer vielversprechenden Reihe erleben zu dürfen!
Bernd Woidtke
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