Der Lieblingstürke kommt
mit Murat Isboga
Gleis11, 5.11.21
Wie funktioniert Integration am besten? Man lacht sich kaputt übereinander! Darf man Türkenwitze machen? Ja, wenn sie gut sind! Zum Beispiel: Die Lehrerin fragt: Wer ist Deutscher? Alle melden sich, außer Ali. Sein Freund sagt: Wieso meldest du dich nicht? Du bist in Deutschland geboren, also bist du Deutscher. Ali meldet sich. Zu Hause erzählt er die Geschichte. Sein Vater ist sauer, haut ihm eine runter. Als Ali aus dem Koma erwacht, sagt er: Kaum ist man Deutscher, schon macht ihr Türken Stress!
Murat Isboga, der diesen Witz erzählt, ist Deutscher, also in Deutschland geboren. Ach nein, er hat ja einen türkischen Pass. Aber in der Türkei sagen sie: Du bist kein Türke. Mist. Zwischen allen nationalen Stühlen. Das kann deprimieren. Oder man wird Schauspieler. Murat ist ein begnadeter Bühnenkünstler. Ein Stand-up-Comedian. Er hat sein festes Programm, spricht aber fortwährend mit dem Publikum, nimmt Ideen auf, wandelt sie ins Absurde. Verwickelt den Deutschen Werner, den kleinen Türken Bülent und seinen Vater Yavuz in urkomische Dialoge. Ein Klischee jagt das andere und wird von Murat stehenden Fußes entlarvt.
Er erzählt von seiner abenteuerlichen Integrationsgeschichte. Wie er in der deutschen Grundschule entscheiden musste, welchen Religionsunterricht er besuchen soll, den katholischen oder den evangelischen? „Mach einfach von beiden ein bisschen,“ rät der Vater. „Darf ich das Wasser trinken, das uns die Lehrerin gegeben hat?“ Der Vater: „Trink es, da ist kein Schweinefleisch drin!“ Aufs Gymnasium kam er durch ein Missverständnis: „Für Ihren Sohn ist das Gymnasium zu hoch“, sagte der Grundschullehrer. Der Vater verstand nur „Gymnasium“ – alles klar! Zum Elternsprechtag kommen die Deutschen mit Mutter und – manchmal – Vater. Die Türken: mit Vater, Mutter, Onkel, Tante, Cousin, Cousine, Opa, Oma, insgesamt mit 18 Leuten für Murat – der Klassenraum war fast zu klein. Bei 130 Fehlstunden wurde die Sache schwierig, Murat wechselte auf die Hauptschule. Kein Problem: Die zwei Deutschen wurden schnell integriert…
Murat fragt das Publikum: Kennt ihr Unterschiede zwischen Deutschen und Türken? Klar, kam zurück, das Essen! Abendessen bei Deutschen: 18 Uhr, bei Türken: 23 Uhr. Murat: Die Türken sind spontan, die Deutschen haben einen Wandkalender, auf dem sie alles eintragen. Was nicht eingetragen ist, findet nicht statt. Murats deutscher Freund nennt seinen Vater „Joachim“. Murat testet zu Hause: „Mehmet“ sagt er zu seinem Vater. Sein Vater knockt ihn aus. Deutsche zahlen, was auf dem Preisschild steht, Türken handeln, sogar in der Apotheke. Türkische Hochzeit: 1000 Gäste, 800 von ihnen kennt man nicht. Deutsche Hochzeit: 30 Gäste, die Hälfte kommt nicht. Die Deutschen machen ein paar Tage Urlaub an der Nordseeküste. Die Türken fünf Wochen in der Türkei. Warum so lange? Drei Tage mit dem Auto hin, drei Tage zurück, Tante in Istanbul besuchen, Opa in Antalya, Nichte in Izmir, Onkel in Anatolien – macht 30.000 km, zurück in Deutschland sind sie fix und fertig - urlaubsreif!
Murat Isboga (l.) mit den Veranstaltern vom give.ev.kerpen und der Gleis11-Kulturmanagerin Anika Kresken (r.)
Ja, so sind sie, die Türken. Und die Deutschen. Natürlich sind sie nicht so. Nicht alle. Manche. Manche sind ganz anders. Murat Isboga ist Comedian, aber auch ein ernster, reflektierter Mensch. Wo ist meine Heimat? Ich muss diese Frage nicht beantworten. Ich fühle mich hier wohl. Aber auch in der Türkei. Es ist egal. Man muss sich kennenlernen, sich begegnen, miteinander reden. „Klingeln Sie doch mal bei Ihren Nachbarn, wünschen Sie Ihnen einen glücklichen Ramadan!“ rät er. So einfach. Und so wirkungsvoll.
60 Jahre Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei, 60 Jahre Türken in Deutschland. Und immer noch so viele Missverständnisse. Nach 120 Jahren wird’s sicher besser. Sagt Murat. Folgt man ihm, geht das viel viel viel schneller. Ein komischer, tragischer, optimistischer Abend.
Bernd Woidtke