Tangoyim Klezmer-Musik und jiddische Lieder
Gleis11 7.10.2021
Die Zuschauerreaktionen waren überwältigend. Eine Frau sagte: „Ich habe mich wie im jüdischen Schtetl gefühlt, ich habe zwar keine Ahnung, wie es da aussieht, aber so muss es sich angehört haben.“
Klezmer ist die Musik der armen jüdischen Bevölkerung in Osteuropa, sie wurde an Feiertagen gespielt, den „Yontevdike Teg“. Man wollte gut essen, gut trinken, weil solche Feiertage viel zu schnell vorbei gingen.
Eine Jüdische Hochzeit ohne Klezmer-Musik ist undenkbar bis heute. Hochzeiten gehen über mehrere Tage. Beim Lied „Kale bazetsn“ erzählt der Sänger vom bisherigen Leben der Braut („Kale“), wie beschützt sie zu Hause gelebt hat, wie gut es ihr dort erging; jetzt geht sie in die Fremde, in eine neue Familie, das Leben wird komplett anders, mit dem Ergebnis, dass die Braut in Tränen ausbricht, aber da muss sie halt durch. Das Lied fängt langsam und melancholisch an, das Tempo steigert sich dann - entsprechend der Laune der Braut, könnte man annehmen.
Im Laufe des Abends lernt man eine Reihe von Begriffen aus dem Jiddischen. Dass die Braut „mazel“ haben muss (=Glück), dass der Aberglaube, eine schwarze Katze würde Unglück bringen (=“zores“), eher umgekehrt gilt, also zores für die „Shvartse Kats“: In Wirklichkeit muss sie ständig um ihr Leben kämpfen.
Tangoyim: Stefanie Hölzle, Daniel Marsch
Man lernt, dass die Juden immerzu zum Lernen gezwungen waren. In New York, an der Second Avenue, da blühte das jüdische Leben. Man möchte die alten Traditionen bewahren, muss sich aber auch anpassen, viele wollten schnell gute Amerikaner werden. Was passierte? Konflikte! Schläfenlocken der Männer, Perücken bei den Frauen – so war das bei Juden üblich. Im verrückten Amerika ist es aber umgekehrt – was tun? Oder Heiraten. Bei den Juden gilt: Erst heiraten, dann Kind! In Amerika: Erst Kind, dann vielleicht heiraten... „What can you makh, it is Amerika!“ heißt der Song dazu.
Tangoyim, das sind Stefanie Hölzle, Geige, Klarinette, Gesang, und Daniel Marsch, Akkordeon, Gesang. Sie sind veritable Musiker, haben eindrucksvolle Stimmen und erzählen einfühlsam die Geschichten hinter den Liedern. Der Name ihres Duos setzt sich zusammen aus dem Tango, der in sehr eigener Weise von osteuropäischen Juden gespielt wurde, und Goyim: Nichtjuden. Muss man sich rechtfertigen, wenn man als Goyim jiddische Lieder spielt? Nein, sagen sie: Man kann auch irische Folkmusic machen ohne Ire zu sein!
Dass sie nicht nur klassische jiddische Lieder im Repertoire haben, zeigen sie mit einer jiddischen Version von Leonard Cohens „Dance me to the end of love“, ein Song, der manchen Zuschauer zu Tränen rührte. Und als letzte Zugabe „Die alten Lieder“ von Franz Josef Degenhardt, wo es heißt:
Tot sind uns're Lieder –
Uns're alten Lieder!
Lehrer haben sie zerbissen
Kurzbehoste sie verklampft –
Braune Horden totgeschrien
Stiefel in den Dreck gestampft!
Als Tangoyim dieses Lied auf jiddisch anstimmte wurde klar: Wenn Goyim jiddisch singen, ist das eine musikalische Versöhnung. Dieser Konzertabend war ein Höhepunkt der jüdischen Kulturwochen im Rhein-Erft-Kreis!
Bernd Woidtke