Of Cabbages and Kings - Neo A Cappella - Gleis11 - 10. November 2019
"The time has come, the Walrus said,
To talk of many things:
Of shoes — and ships — and sealing-wax —
Of cabbages — and kings —
And why the sea is boiling hot —
And whether pigs have wings."
Aus: The Walrus and the Carpenter von Lewis Carroll, 11. Strophe
Es geht drunter und drüber in diesem Gedicht von Lewis Carroll, und die Zeile mit den Kohlköpfen und den Königen hat es der Band angetan: Sie benannten sich flugs danach. Laura Totenhagen, Veronika Morscher, Zola Mennenöh und Rebekka Salomea Ziegler (auf dem Foto von links) – das sind die vier Jazz-Sängerinnen, die am 10.11.19 als „Of Cabbages and Kings“ in Gleis11 auftraten.
Manchmal scheint es in ihren Songs auch drunter und drüber zu gehen, die musikalische Anarchie scheint auszubrechen, die vierstimmige Harmonik und die komplexe Rhythmik scheinen aus dem Ruder zu laufen, auf wundersame Weise aber fügt sich alles immer wieder zu einem madrigalartigen Wohlklang zusammen – ein kleines, nein: ein großes Wunder in Gleis11!
Ja, sie singen auch Coverversionen, z.B. „Overcome“ von Laura Mvula, der britischen Soulsängerin. Aber wer glaubt, sie würden sich dabei mit fremden künstlerischen Federn schmücken, der irrt gewaltig: Ihre Version adelt das Original, sie gewinnen ihm völlig ungekannte Seiten ab.
Ihre eigenen Songs, z.B. „Am I still facing love?“, geschrieben von Veronika Morscher, zeichnen sich durch hochkomplexe harmonische und rhythmische Arrangements aus.
Herausragend ihre gesanglichen Interpretationen von Sonnets des britischen Genius William Shakespeare, z.B. „Take all my love“, das Sonnet 40, das sie in eine jazzige Swing-Version überführen. Das Sonnet endet mit der Zeile: „Kill me with spites, yet we must not be foes.” (“Töte mich mit Bosheit, aber wir dürfen keine Feinde sein.”)
Auch deutsche Gedichte haben sie in ihre musikalische Sprache übersetzt: „Keiner blickt dir hinter das Gesicht“ (Erich Kästner), „Traum“ (Hannah Arendt, mit der letzten Strophe: „Ich selbst – Auch ich tanze. – Ironisch vermessen - Ich habe nichts vergessen - Ich kenne die Leere - Ich kenne die Schwere - Ich tanze, ich tanze - In ironischem Glanze.“) Wer sich mit dem Rhythmus dieses Gedichtes beschäftigt und dann die Bearbeitung durch „Of Cabbages and Kings“ hört, bekommt einen tiefen Eindruck von ihrer Kunst.
Ähnliches gilt für ihre Versionen von „Rezept“ von Mascha Kaléko und „Nach grauen Tagen“ von Ingeborg Bachmann.
Die Formation „Of Cabbages and Kings“ kam 2015 zusammen. Zola Mennenöh kam 2018 hinzu und ersetzte Sabeth Pérez. Sie selbst beschreiben ihre musikalische Ausrichtung als „Neo A Capella“. Die inzwischen traditionelle A-Cappella-Musik definiert sich als Vokalmusik ohne Instrumente, bekannte Bands sind die Wise Guys oder Basta. Sie sind in der Regel in der Popmusik oder im Jazz beheimatet. „Of Cabbages and Kings“ hat die Ausdrucksformen dieser Richtung deutlich erweitert, die Improvisationsanteile sind wesentlich größer, sie nehmen sich mehr Freiheiten in der Interpretation, was auch dadurch verdeutlicht wird, dass die vier Interpretinnen in anderen Formationen auch Modern Jazz, Folk und elektronische Beats bedienen.
Der Abend mit dieser Gruppe war ein künstlerischer Höhepunkt dieses formidablen Veranstaltungsortes Gleis11; wer Musik fühlen, hören und verstehen wollte, der kam hier auf seine Kosten. Ein Hochgenuss!
Bernd Woidtke